Christoph Reichenau, 6. Mai 2021, Journal B
Das Schulmuseum Bern in Köniz kennen nur Wenige, obwohl es sich einem Lebensabschnitt widmet, der alle irgendwie prägt. Das Museum bricht mit einer neuen Strategie auf, vergibt einen Preis, zeigt eine neue Ausstellung und öffnet seine Sammlung.
Es ist klein, nicht leicht zu finden und sein grösster Schatz liegt unter der Erde. Doch es versammelt und erweckt Dinge zum Leben, die uns allen einst viel bedeutet haben im Guten wie im Schlimmen: das Schulmuseum Bern. Zwei Räume eines alten Hauses im Schlosshof von Köniz, ein nahegelegenes unterirdisches Depot für die Sammlung von 80‘000 Objekten. Mehr braucht es nicht, um für die Alten die Schule unserer Jugend auferstehen zu lassen, die Kreide, die Wandtafel, den ausgestopften Eichelhäher, das Harmonium, das Wandbild mit all den Details, die Landkarte auf dem Ständer.
Für Junge ist das eine unbekannte Welt. Dies zeigt den ständigen und tiefgreifenden Wandel dieser gesellschaftlichen Institution, die heute mit gestern und morgen verbindet, Kontinuität gewährleistet und Offenheit in die Zukunft anstrebt. Eigentlich beschämend, dass die einzige Einrichtung, die alle ein paar prägende Jahre lang besuchen müssen, denn Schulpflicht ist Schulzwang, in der üppigen Museumslandschaft von Stadt und Kanton und Nation bloss so karg und schmal platziert ist.
Weichenstellung
Das Schulmuseum Bern in Köniz (smb), durch die Sammeltätigkeit eines Lehrers in den 1960er Jahren begonnen, steht nach einem soliden Aufbau und dem Übergang zu einer auf Dauer angelegten gemeinnützigen Stiftung vor einer Weichenstellung: Weiterführen als Freizeitaktivität zahlreicher engagierter Freiwilliger oder Umwandlung in eine Einrichtung, die in ihrem thematischen Bereich die Anforderungen an ein Museum von nationaler Bedeutung vollumfänglich erfüllt.
Der Stiftungsrat hat sich für die Neuausrichtung entschieden. Er will in den kommenden Jahren unter Wahrung der Freiwilligeneinsätze die professionelle Arbeit ausbauen. Aufgrund eines neuen Sammlungs- und Betriebskonzepts bewirbt er sich beim Kanton sowie beim Bundesamt für Kultur um namhafte Betriebsbeiträge.
Öffnung vertagt Die Strategie verfolgt die Entwicklung des Museums auf eine lange Dauer, sowohl zur weiteren Öffnung der Institution für ein stets wachsendes Publikum, als auch zur vertieften wissenschaftlichen Durchdringung der Themen und Sammlungsbestände. Man will das Museum weiter öffnen, Ausstellungen und Themen breit und mit stets neuen Ansätzen auch digital vermitteln, die Besucherinnen und Besucher teilhaben lassen. Corona hat diese Bestrebungen durchkreuzt. Anstatt Öffnung Schliessung. Anstatt mehr Publikum Begrenzung auf weniger. Hinter den Kulissen war jedoch viel los. Eine neuartige Führung durch die Sammlung ist parat: Geschichte und Geschichten der Schule sind mit Objekten verknüpft, Erzählerinnen und Erzähler werden die Besuchenden begleiten – das wird ein unterhaltsames Erlebnis, dennoch oder gerade deshalb lehrreich. Das Depot ist bereit, als Schaulager besichtigt zu werden. Sobald die Pandemie es zulässt, geht es los auf Entdeckungstour in den dunklen, verwinkelten Räumen des Zivilschutzkellers. Doch nicht auf alles muss man warten. Die Ausstellung «Jitz rede-n-ig» ist ab 8. Mai offen. Und der «Tintenfass-Preis» ist vergeben. «Jitz rede-n-ig» «Wenn alles schläft und einer spricht, so nennt man dieses Unterricht», hat Wilhelm Busch (1832-1908) gereimt. Mehr als 100 Jahre später ist die Schule weiblich geworden, handlungsorientiert, kommunikativ. Aufstrecken, Dreinreden, Schwatzen bestimmen immer noch das Klassenzimmer. Hier gilt: Reden, bitte! Zeitzeuginnen und Zeitzeugen erzählen von früher. Debattierworkshops führen ein ins Hand- (und Mund-) werk der Diskussion als demokratische Basistugend.
Der Berner Musiker Thomas Glatthard (TomTell) schrieb für die Ausstellung einen Song: «Wie weimer zäme rede? Wie weimer zäme läbe? Mitenand oder jede gäge jede? Weimer schlegle? Weimer läbe?» Das Video zum Song wurde in der Sammlung des Museums und in dessen historischem Schulzimmer gedreht und ist auf der Homepage zu sehen und zu hören.
Tintenfass-Preis
Jährlich vergibt das smb für Texte zur Geschichte der Bildung den Tintenfass-Preis. 2020 ging die Auszeichnung an Peter Metz für den Artikel «Das Töchterinstitut Elfenau in Bern und Grindelwald». In der Laudatio erklärt Katharina Kellerhals: «Peter Metz zeigt auf, wie diese Geschichte – ganz unglamourös – in einer Phase der Erstarrung des öffentlichen Schulsystems mit reformpädagogischem Pioniergeist und innovativen Schulgründungen im schweizerischen Unterland begonnen hat.»
Den preisgekrönten Text hat die Künstlerin Ana Filipovic bildnerisch umgesetzt. Zu sehen ist eine Absolventin des 1913 gegründeten Töchterinstituts, die mithilfe eines Milchtopfes das Wetterhorn formt. Damals wie heute, soll das sagen, versetzen Frauen Berge.
Von Ana Filipovics Werk gibt es 12 farblich individuelle Originale aus 8 kg schweren Betonplatten. Eines erhält der Gewinner des Tintenfasspreises 2020, die anderen 11 sind käuflich. Die Werke und ein Video zum Schaffensprozess der Künstlerin sind auf der neugestalteten Website des smb vorgestellt.
Leitungswechsel
Im Frühling wechselte die Leitung des Schulmuseums. Pia Lädrach, welche die letzten Jahre und die neue Strategie wesentlich mitbestimmt hatte, übernahm die Führung des Kindermuseums Creaviva beim Zentrum Paul Klee und folgte auf Urs Rietmann.
In Köniz wirkt neu Andrea Matter. Sie studierte in Bern, Wien und Tübingen Musikwissenschaften und Germanistik. Später war sie selbständig im Kulturmanagement, Fundraising und Sponsoring tätig. Andrea Matter doziert an der HKB, verfügt über Vermittlungskompetenz und ist gut vernetzt.